Der Mietrechtsfall
Der Kläger war Mieter einer Wohnung in Berlin. Seine Vermieterin bzw. die Beklagte hatte unter Bezugnahme auf den Berliner Mietspiegel 2015 den Kläger per Brief aufgefordert, einer Erhöhung der Nettokaltmiete um monatlich 121,18 Euro zuzustimmen. Der Kläger tat dies und zahlte von Oktober 2015 bis Juli 2016 die Erhöhung unter Vorbehalt.
Mit Schreiben vom 27. August 2016 widerrief der Kläger seine Zustimmung und verlangte mit der Klage die Rückerstattung der gezahlten Erhöhungsbeträge sowie die Feststellung, dass er nur die unverändert gebliebene Nettomiete schulde. Der Kläger war der Auffassung, dass ihm als Verbraucher ein Widerrufsrecht zustehe, weil seine Zustimmung unter „Verwendung von Fernkommunikationsmitteln“ erteilt worden sei. Die Vorinstanzen hatten die Klage abgewiesen, weil es bei der Vermieterin an einem für den Fernabsatz organisierten, typischen Vertriebs- und Dienstleistungssystem fehle.
Mietrechtlicher Hintergrund
Für Mieter, die als Verbraucher gelten, sieht § 312 Abs. 4 in Verbindung mit § 312 c BGB ausdrücklich ein Widerrufsrecht (§ 312 g BGB) vor, wenn ein Vertrag unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln (also E-Mails, Briefe, Telefax usw.) geschlossen wird. Eine Ausnahme davon gilt lediglich, wenn „der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystem erfolgt“.
Grund für dieses Widerrufsrecht ist der Schutz des Verbrauchers, weil er bei Geschäften, die auf diesem Wege geschlossen werden, seinen Vertragspartner und den Vertragsgegenstand (also die Ware oder die Dienstleistung) nicht in Augenschein nehmen kann. Kurz gesagt: Man sieht sich nicht. Der Gesetzgeber vermutet für diese Umstände eine psychische Drucksituation des Verbrauchers, vor der er geschützt werden soll.
Das BGH-Urteil
Der für Wohnraum zuständige VIII. Mietrechtssenat stellte in seiner Entscheidung klar, dass einem Mieter, der die Zustimmung zu einer Mieterhöhung erklärt habe, kein Widerrufsrecht zustehe.
Der BGH folgte zwar dem Ergebnis (nämlich der Abweisung der Klage), aber nicht der Begründung der Vorinstanzen. Das Landgericht Berlin hatte als Vorinstanz das Widerrufsrecht verneint, weil der Mieter individuell (auf die konkrete Wohnung bezogen, ohne Verwendung einer automatisierten Software) angeschrieben worden war.
Dieser Auffassung schob der BGH einen Riegel vor und stellte klar, dass ein Fernabsatzgeschäft nicht einfach deshalb zu verneinen sei, weil kein vorgefertigter Standard- oder Serienbrief verwendet worden sei. Entscheidend sei vielmehr, dass die Vertragsparteien bei Abgabe der Willenserklärung nicht gleichzeitig körperlich anwesend waren, womit auch ein Brief unter den Gesetzeswortlaut des § 312c Abs. 2 BGB falle. Allein die Gefahr von Fehlentscheidungen des Verbrauchers reichte dem BGH für die Annahme eines Fernabsatzgeschäfts. Diese Gefahr bestehe nicht nur bei Standard- oder Serienbriefen, sondern auch bei individuellen Anschreiben (BGH a.a.O. RN 24).
Der BGH verneinte im Ergebnis allerdings deshalb das Widerrufsrecht des Mieters, weil die zweimonatige Überlegungsfrist des § 558 b BGB für die Mieterhöhung eine ausreichende verbraucherschützende Regelung enthalte. Eines weitergehenden Schutzes durch das Widerrufsrecht bedürfe es daher nicht.
Anders ausgedrückt: Der Mieter hat zwei Monate lang Zeit zu prüfen, ob er der Mieterhöhung zustimmt. Damit ist er laut BGH gegen Übereilung und psychischem Druck ausreichend geschützt.
Immobilienrechtliche Einschätzung
Auch wenn jetzt für Mieterhöhungen nach § 558 BGB Klarheit geschaffen wurde, besteht weiterhin große Unsicherheit, wann überhaupt ein „für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- und Dienstleistungssystem“ besteht und welche Erklärungen, wenn sie nicht gerade im Büro des Verwalters abgegeben werden, widerruflich sind.
Der BGH fasst seinen Begriff der „Kommunikation im Fernvertrieb“ unter dem Aspekt des Verbraucherschutzes extrem weit. Der Mieter (ergo Verbraucher) soll vor Fehlentscheidungen geschützt werden. Nur Geschäfte, die „unter gelegentlichem Einsatz von Fernkommunikationsmitteln geschlossen werden, sollen aus dem Anwendungsbereich des Fernabsatzwiderrufs ausscheiden“ (BGH a.a.O. Rn 19).
Hier werden die Instanzgerichte noch viel Arbeit zu leisten haben. Sicher ist ab jetzt nur, dass auch ein individuell angefertigtes Anschreiben nicht gegen ein Fernabsatzgeschäft spricht. Oder anders ausgedrückt: Jede Vereinbarung zwischen Mieter und Vermieter, die als Ergänzung zum Mietvertrag verstanden werden kann, unterfällt im Zweifel dem Widerrufsrecht und sollte daher mit einer entsprechenden Widerrufsbelehrung versehen werden. Jedenfalls dann, wenn der Vermieter nicht Gefahr laufen will, dass der Mieter zwölf Monate (= ein Jahr!) und 14 Tage lang noch den Vertrag widerrufen kann.
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