Welche Schallemissionen sind zumutbar?
Zu den für alle zumutbaren Schallemissionen gehören insbesondere der übliche, nach heutiger Rechtsanschauung und für den öffentlichen Bereich „privilegierte“ Kinderlärm (§ 22 Abs. 1a Bundes-Immissionsschutzgesetz, BImSchG).
In seiner Entscheidung vom 13. Dezember 2019 stellte der BGH zudem klar, dass der Gesetzgeber sich mit der Regelung des oben genannten Paragrafen das Ziel setzt, eine Privilegierungsregelung von „grundsätzlicher Natur“ zu schaffen. Kinderlärm soll unter einem „besonderen Toleranzgebot der Gesellschaft“ stehen. Der Gesetzgeber wolle damit ein klares gesetzgeberisches Signal für eine kinderfreundliche Gesellschaft setzen, so die BGH-Richter (Az.: V ZR 203/18, siehe auch Bundestags-Drucksache 17/4836 S. 1, 4 u. 7).
Bereits zwei Jahre zuvor betonte der BGH, dass in einem Mehrfamilienhaus gelegentlich auftretende Lärmbelästigungen, die ihren Ursprung in einem altersgerechten und üblichen kindlichen Verhalten haben, grundsätzlich als sozial adäquat hinzunehmen sind. Demnach gelten erhöhte Grenzwerte für Lärm und entsprechende Begleiterscheinungen kindlichen Verhaltens (Urteil vom 22. August 2017, Az.: VIII ZR 226/16).
Dies bedeutet für die anderen Mieter, dass eine Lärmbelästigung nicht ohne Weiteres einen Mangel der Mietsache im Sinne von § 536 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) begründet und damit zur Mietminderung führt.
Welche Grenzen gelten für Kinderlärm?
Nun ist es aber auch nicht so, dass es im Kontext des Mietrechts keine Grenzen für Kinderlärm gibt und jede Lärmbelästigung von den Mitmietern bzw. Nachbarn hinzunehmen ist. Grenzen finden sich im „Gebot der zumutbaren gegenseitigen Rücksichtnahme“, wie der BGH abermals zwei Jahre zuvor urteilte (Urteil vom 29. April 2015, Az.: VIII ZR 197/14).
Die Grenzen zumutbaren Kinderlärms sind jedoch jeweils einzelfallabhängig zu bestimmen. Dabei sind die Art, Qualität, Dauer und Zeit der verursachten Geräuschemissionen, das Alter und der Gesundheitszustand des Kindes sowie die Vermeidbarkeit der Emissionen als Anhaltspunkte zu berücksichtigen. Entscheidend ist, ob der Lärm noch als „Ausdruck eines natürlichen Bewegungsdrangs“ oder als „Schritt der natürlichen Entwicklung von Kindern“ beschrieben werden kann.
Was können betroffene Eltern tun?
Kinderlärm ist natürlich in erster Linie durch objektiv gebotene erzieherische Einwirkungen auf das Kind einschränken. Dies sollte allerdings nicht durch Schreien oder Brüllen der betroffenen Eltern erzielt werden, denn dann wäre hinsichtlich der Schallemissionen wenig erreicht (von der erzieherischen Fragwürdigkeit ganz zu schweigen).
Kommt es zu regelmäßigen Beschwerden der Nachbarn aufgrund von Kinderlärm, können auch zumutbare oder sogar gebotene bauliche Maßnahmen in der Wohnung den Kinderlärm verringern. Kommt es zum juristischen Streit muss die Wohnung nach Ansicht der BGH-Richter durch das Gericht bzw. einen Gutachter in Augenschein genommen werden, um sich z.B. über die Hellhörigkeit des Hauses zu vergewissern oder sich dazu gegebenenfalls sachverständig beraten zu lassen.
Was können benachbarte Mieter tun?
Mieter, die sich durch den Lärm benachbarter Kinder übermäßig belästigt fühlen, können eine Mietminderung gemäß § 536 BGB erwägen. Zum Beweis ist nicht einmal eine detaillierte Protokollerstellung nötig. Dies stellte der BGH schon in seiner Grundsatzentscheidung vom 29. Februar 2012 (Az.: VIII ZR 155/11) fest. Es reicht aus, wenn bei wiederkehrenden Lärmbelästigungen eine Beschreibung der Art der Beeinträchtigung, der Tageszeiten, der Zeitdauer sowie der Frequenz vorgelegt werden kann.
Die Nennung der genauen Ursache für die Lärmbelästigung ist auch nicht erforderlich. Zumal dies vom klagenden Mieter auch grundsätzlich nicht sicher zu beurteilen ist.
Entsprechendes gilt für mögliche technische Mängel, etwa die Nichteinhaltung schallschutztechnischer Bestimmungen für Gebäude, wobei es hierbei grundsätzlich auf das Baujahr ankommt (BGH-Urteil vom 05. Juni 2013, Az.: VIII ZR 287/12).
Was sollten Vermieter tun?
Vermieter sollten bei Beschwerden von Mietern wegen Kinderlärms bedenken, dass Kinderlärm im Grundsatz zwar, aber eben nicht grenzenlos hinnehmbar ist. Vermieter sind deswegen angehalten, den Beschwerden nachzugehen und den Mangel soweit möglich zu beseitigen.
Im schlimmsten Fall kann dies (nach erfolgter Abmahnung) die Kündigung des Mietverhältnisses mit einem störenden Mieter (§§ 543 Abs. 1, 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB) sein. Dies setzt allerdings ein nachweisbares Überschreiten der Zumutbarkeitsgrenze durch den störenden Mieter voraus. Ist ein baulicher Mangel als ursächlich oder mitursächlich nicht auszuschließen, müssen Vermieter zunächst Schritte zu dessen Beseitigung unternehmen.
Fazit: Was ist allen Parteien zu empfehlen?
Der BGH hat in seiner Rechtsprechung über die Jahre hinweg klargemacht, dass Kinderlärm in Mehrfamilienhäusern von anderen Mietern grundsätzlich hinzunehmen ist, aber bestimmte Grenzen nicht überschreiten darf. Die Überschreitung der Zumutbarkeit ist jeweils im Einzelfall zu prüfen.
Da ein (sich oft länger hinziehender) Rechtsstreit im sozialen Nahraum äußerst unangenehme Folgen haben kann, lohnt es sich hier besonders, frühzeitig juristische Beratung hinzuzuziehen. Bei Bereitschaft aller Beteiligten bzw. Betroffenen, ist auch ein mietrechtliches Mediationsverfahren sehr vielversprechend.
Ich unterstütze Sie gerne als juristischer Beistand oder in einem Mediationsverfahren!
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